04.07.2023 18:13

Herausforderungen im Gesundheitssystem

(Bregenz) Das Gesundheitssystem steht vor großen Herausforderungen. Die gemeinsam von Land Vorarlberg, Österreichischer Gesundheitskasse und Ärztekammer für Vorarlberg in Auftrag gegebene Ärztebedarfsstudie, die jetzt präsentiert wurde, zeigt wie erwartet Handlungsbedarf auf und liefert dafür auch Details zu einzelnen Fachbereichen und Anforderungen von JungärztInnen.

Insgesamt werden 135 zusätzliche ÄrztInnen bis ins Jahr 2031 für Vorarlberg benötigt, um den pensi-onsbedingten Ersatzbedarf und den erwarteten zusätzlichen Bedarf abzudecken, davon 71 im Krankenhaus, 37 in Facharztpraxen und 27 HausärztInnen. Handlungsfelder liegen vor, konkrete Lösungsansätze werden gemeinsam erarbeitet.

Die Studie, basierend auf Daten der letzten zehn Jahre, wurde von der Gesundheit Österreich GmbH durchgeführt und liefert wichtige Erkenntnisse zur aktuellen und zukünftigen Versorgungssituation in Vorarlberg. Die Detaildaten wurden von der Ärztekammer, der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und der Krankenhausbetriebsgesellschaft pseudonymisiert bereitgestellt. Zusätzlich wurden Fokusgruppen mit Jungärztinnen und Jungärzten und eine Online-Befragung aller Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung durchgeführt. „Diese Bedarfsstudie mit derart genauen Daten, insbesondere im Zeitverlauf, ist bislang für Österreich einzigartig – sie liefert ein sehr wahrscheinliches Prognosemodell für Vorarlberg für die nächsten Jahre“, so Hermann Schmied, Studienleiter bei der Gesundheit Österreich GmbH.

Die Analyse der IST-Situation zeigt, dass Vorarlberg derzeit im österreichweiten Vergleich im Mittelfeld liegt, was die Versorgung mit Fachärztinnen und Fachärzten in den Krankenanstalten betrifft, bei den TurnusärztInnen bewegt sich Vorarlberg hingegen unter dem österreichweiten Schnitt. Im niedergelassenen Kassenbereich zeigt sich, dass die Versorgung über dem bundesweiten Schnitt liegt.

Der Bedarf an Ärztinnen und Ärzten steigt kontinuierlich bis 2031
Denn die Prognose für die Zukunft zeigt einen deutlichen Handlungsbedarf. Bis zum Jahr 2031 wird aufgrund der wachsenden und älter werdenden Vorarlberger Bevölkerung der Bedarf an Ärztinnen und Ärzten in den Krankenanstalten in Vorarlberg voraussichtlich um rund 12 % und im Kassenbereich um 5,9 % steigen. Hinzu kommen zahlreiche Pensionierungen und eine erwartbare höhere Teilzeitquote aufgrund eines zunehmenden Anteils an jungen Ärztinnen in der Versorgung. Es werden daher laut Prognosemodell 71 Ärztinnen und Ärzte in den Krankenanstalten, 27 Hausärztinnen und Hausärzte sowie 37 FachärztInnen im Kassenbereich bis 2031 ohne gegensteuernde Maßnahmen fehlen. Hierbei handelt es sich um die Differenz zwischen erwarteten Zugängen (z.B. aus der Ausbildung) und dem prognostizierten Bedarf lt. Studie.

„Die Studie bestätigt, worauf wir schon seit langem hinweisen. Wir haben im Gesundheitswesen mit einem erheblichen Ärztebedarf zu kämpfen, der nicht problemlos gedeckt werden kann. Gründe für diesen sind eine Pensionierungswelle der ÄrztInnen sowie eine alternde Gesellschaft und ein starkes Bevölkerungswachstum“, erklärt Burkhard Walla, Präsident der Ärztekammer für Vorarlberg. „Bis 2031 werden etwa 30 % aller derzeit aktiven Ärztinnen und Ärzte das Pensionsalter erreichen. Die Pensionierungswelle der Baby-Boomer-Generation dauert noch bis ca. 2027 an. In den Folgejahren nehmen die Pensionierungen langsam ab. Dann ist mit einer leichten Entspannung der Situation zu rechnen. Vorarlberg muss, um für junge ÄrztInnen interessant zu bleiben, die Vorreiterposition in Sachen Ausbildung weiter ausbauen und natürlich auch entsprechend attraktive Arbeitsplätze bieten. Jedenfalls werden wir die Gesundheitsversorgung nur mit Schwerpunktsetzungen, mehr Kooperation in allen Bereichen und einer klaren Patientenlenkung sicherstellen können – dafür braucht es ein gemeinsames Ziel und ein gemeinsames Tun aller Beteiligten. Mit dieser Studie haben wir dafür einen weiteren Grundstein gelegt“, erläutert Landesrätin Martina Rüscher weitere Ergebnisse der Studie.
Durchschnittlich werden pro Jahr 17 ÄrztInnen fehlen, wenn nicht gegengesteuert wird. Umgerechnet auf die einzelnen Bereiche wären das neun ÄrztInnen im Krankenhaus, fünf FachärztInnen mit Kassenvertrag und drei HausärztInnen.

Insgesamt benötigt es somit bis 2031 laut Prognose 135 ÄrztInnen, damit das Gesundheitssystem weiterhin funktioniert wie bisher und die Pensionierungswellen voll abgefedert werden können. „In der Prognose sind die demografischen Veränderungen sowohl der Bevölkerung als auch innerhalb der Ärzteschaft – inkl. einer erwartbaren höheren Teilzeitquote – berücksichtigt. Nicht berücksichtigt sind weitere Verbesserungen gegenüber der aktuellen Situation, etwa zur Reduktion der Arbeitsbelastung, dafür sind darüber hinaus noch weitere ÄrztInnen notwendig“, ergänzt Gunter Maier, Forschungsmitarbeiter der Gesundheit Österreich GmbH. Die Detailanalyse zeigt, dass Bedarf vorwiegend in den Fachrichtungen Allgemeinmedizin, Chirurgie, Innere Medizin, Orthopädie und vor allem bei den AnästhesistInnen und IntensivmedizinerInnen besteht.

Handlungsfelder definiert, um gezielt Maßnahmen zu setzen
„Die Ergebnisse der Studie schocken uns nicht, stellen allerdings eine große Herausforderung für die kommenden Jahre dar. Wir mussten schon in den letzten Jahren mit der Herausforderung, viele Stellen nachzubesetzen, umgehen. Die zu erwartenden Besetzungen entsprechen dem langjährigen Durchschnitt der letzten Jahre. Wir konnten in den letzten Jahren bereits erfolgreich die pensionsbedingten Abgänge decken und die Versorgung durch zusätzliche Stellen weiter ausbauen. Dies ist durch ein gemeinsam mit der Ärztekammer abgestimmtes Maßnahmenbündel gelungen“, erklärt Manfred Brunner. Der ÖGK-Vertreter stellt jedoch fest, dass es gelingen muss, zukünftig vorübergehende Besetzungslücken schneller zu schließen und unterstützt daher die geplanten Schritte zur Entwicklung geeigneter Maßnahmen.

Die Studie dient nun für alle Systempartner als Basis für die Ausarbeitung von aufeinander abgestimmten Maßnahmenplänen. Die umfangreichen Daten ermöglichten eine realistische Einschätzung der Zukunft. Als Grundlage für die weiteren Schritte haben das Land Vorarlberg, die Österreichische Gesundheitskasse und die Ärztekammer gemeinsam Handlungsfelder definiert, in denen die einzelnen, konkreten Maßnahmen nun erarbeitet werden. Zusätzlich soll das Prognosemodell kontinuierlich aktualisiert werden, um auch künftige Entwicklungen und Trends zu erfassen und gesetzte Maßnahmen laufend zu evaluieren.
„Eine zentrale Herausforderung laut Studie besteht darin, Ärztinnen und Ärzte nach ihrer Ausbildung im Land zu halten, da derzeit fast 50 % der ausgebildeten ÄrztInnen Vorarlberg direkt nach Abschluss ihrer Ausbildung verlassen“, weist Martina Rüscher auf eine wesentliche Erkenntnis hin. Aus einem durchschnittlichen Ausbildungsjahrgang mit 76 Ärztinnen und Ärzten verlassen 36 Mediziner und Medizinerinnen (48,5 %) Vorarlberg, ein Viertel kehrt im übernächsten Jahr oder zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurück. 32 Personen des Ausbildungsjahrgangs bleiben in den Krankenanstalten und 8 wechseln in den Kassenbereich oder übernehmen sonstige ärztliche Tätigkeiten in Vorarlberg.

Was wollen junge Ärztinnen und Ärzte?
Um einen umfassenden Einblick zu erhalten, wurden zusätzlich zu den statistischen Daten drei Fokusgruppen und eine Online-Befragung von jungen Ärztinnen und Ärzten durchgeführt. Dabei wurde deutlich, dass gute Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen, Zukunftsperspektiven sowie eine ausgewogene Work-Life-Balance von großer Bedeutung sind. Hohe Arbeitsbelastung, mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie unzureichende Flexibilität wurden als Hindernisse für einen Verbleib in Vorarlberg genannt.
Die Befragung macht außerdem deutlich, dass rund 56 % nach der Ausbildung gerne ihren Beruf in Vorarlberg ausüben möchten. Interessant ist auch, dass knapp 30 % aller Befragten noch nicht einschätzen können, wo sie einmal arbeiten möchten. Der Rest will zurück in ein anderes Bundesland oder sogar in einem anderen Land leben und arbeiten. „Hier liegt ein großes Potential für die Gewinnung zusätzlicher Ärztinnen und Ärzte für Vorarlberg, da müssen wir ansetzen“, unterstreicht Landesrätin Martina Rüscher noch einmal dieses Handlungsfeld.

Die Gründe der Befragten, die nicht in Vorarlberg bleiben wollen, sind vielfältig. Am häufigsten wurde genannt, dass private bzw. familiäre Gründe ausschlaggebend sind. Leben der Partner oder die Familie anderswo, zieht es 41,3 % der Befragten dort hin. Die vorherrschenden Arbeitsbedingungen landen mit 36,5 % auf dem zweiten Platz. Die Verdienstmöglichkeiten wurden mit 34,9 % am dritthäufigsten genannt. 31,7 % der Befragten sehen außerhalb Vorarlbergs bessere berufliche Einwicklungs- und Karrieremöglichkeiten. Gegen eine Anstellung in einem Vorarlberger Krankenhaus spricht für jene Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung, die sich nicht vorstellen können, nach der Ausbildung weiterhin in einem Krankenhaus zu arbeiten (46,2 % aller Befragten), vor allem die hohe Arbeitsbelastung (85,5 %). Weiters spielen die schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie, eine unzureichende Work-Life-Balance sowie viele Nachdienste, fehlende Flexibilität und wenig Zeit für die PatientInnen eine Rolle für die Unzufriedenheit.

„Nur durch rasche und zielgerichtete Maßnahmen und eine enge Zusammenarbeit aller relevanten Akteure können die großen Herausforderungen für das Vorarlberger Gesundheitssystem gemeistert und eine nachhaltige und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung weiterhin gewährleistet werden. Die vorliegende Ärztebedarfsstudie liefert die Voraussetzungen dafür“, bekräftigen alle Verantwortlichen abschließend.  


Die definierten Handlungsfelder im Überblick:
• Abwanderungsquote nach der Ausbildung reduzieren
• Attraktivität des Kassenarztbereichs steigern
• Motivierende Angebote für WahlärztInnen schaffen
• Arbeits- und Lebensbedingungen für MedizinerInnen verbessern
• Ausbildungsqualität stärken und Ausbildungsquantität erhöhen
• Mehr Sicherheiten im Job ermöglichen (Karrieremöglichkeiten, Dienstplansicherheit, etc.)
• Anwerbung von ÄrztInnen aus anderen Bundesländern sowie dem Ausland